Deutschlandradio 2007


Ein Schimpanse im Zoo. (Bild: AP)

Leichtgewicht mit Tiefgang

Porträt der DDR als Menschenzoo

Von Beatrix Langner
„Alle sterben, auch die Löffelstöre“ ist ein sehr komischer Roman, vorzüglich da, wo er am traurigsten ist. Kathrin Aehnlich, 1958 in Leipzig geboren, hat den bitter-melancholischen Nachruf auf die Jugend ihrer eigenen Generation geschrieben – in seiner ehrlichsten Form, der Satire.
Manchmal braucht ein Buch auf dem unübersichtlichen Buchmarkt ein ganz bestimmtes Klima, etwa eine besonders hohe Luftfeuchtigkeit, ein durchziehendes Azorentief, ein gutes Cover, einen engagierten Lektor oder was auch immer, um sein Publikum zu finden. „Alle sterben, auch die Löffelstöre“ von Kathrin Aehnlich hat es trotzdem geschafft, möchte man sagen, obwohl Papier und Einband etwas zu billig ausgefallen sind und das Klima – politisch gesehen – für ostdeutsche Romane relativ ungünstig ist. Doch von ein paar überzähligen Kinderkrippen, teuren Altstadtsanierungen und stagnierendem Wirtschaftswachstum werden wir uns den Spaß an diesem Buch nicht verderben lassen. Denn „Alle sterben, auch die Löffelstöre“ ist wirklich ein sehr komischer Roman, vorzüglich da, wo er am traurigsten ist; ein literarisches Leichtgewicht mit Tiefgang.

Lange nicht mehr hat jemand die semantische Ambivalenz, die in den drei Buchstaben D-D-R stecken, so pointiert und lustig in eine Romanhandlung verdichtet, die dazu noch hohen Unterhaltungswert besitzt. Es ist kurz nach Weihnachten, der vorletzte Tag des Jahres und Skarlet, seit DDR-Zeiten Pressesprecherin des Leipziger Zoos, hat gerade ihren Freund Paul verloren, treuester Vertrauter seit Kindheitstagen. Während sie gerade über die richtigen Worte für Pauls Trauerrede nachsinnt, wird Skarlet zum, ebenfalls seit Vorwendezeiten amtierenden, Zoodirektor gerufen. Sie soll eine Rede für die Liebhaber der Przewalskipferdezucht schreiben, in der sie auf die Population der Löffelstöre eingehen soll, das Steckenpferd des Zoodirektors, der auch schon anlässlich des 40. Geburtstages der DDR die fortschreitende Entwicklung der amerikanischen Löffelstöre begrüßt hatte. Paul und die Löffelstöre – ein unlösbares Paradoxon für die Protagonistin.

Kathrin Aehnlich, 1958 in Leipzig geboren, hat den bitter-melancholischen Nachruf auf die Jugend ihrer eigenen Generation geschrieben – in seiner ehrlichsten Form, der Satire. Mit schöner Selbstironie und glaubhafter Naivität beschreibt sie ethnografisch genau, wie es war, aufgewachsen zu sein in einem Land, in dem die Zeit stillstand: den gefühlten Widerstand, die gelebte Anpassung, die Opposition par excellence, die im Jungsein lag – von der Kleiderordnung bis zum Musikkonsum. Freiheit existierte nur in der Fantasie, Zivilcourage bewies man schon mit langen oder bunten Haaren, Levy-Jeans und Palästinensertüchern. Jugend in der DDR war das Synonym für Dagegen-Sein, und das genügte den Meisten. Die Staatsmacht sah das genauso. Im Westen war das ja so ähnlich in der „bleiernen Zeit“. Darum können 60-jährige Rockmusiker und ihre alternden Fans heute, meint Aehnlich, so schwer abtreten von der Bühne, und darum findet die DDR immer wieder nostalgische Chronisten und Schwärmer in der jüngeren Generation. Mit der eigenen Kindheit und Jugend verliert sich langsam auch der Heroismus der eigenen Erinnerungen.

Die DDR, das war hier Tante Edeltraut, die teigige Grimasse sozialistischer Erziehung, die Personifizierung aller Leiden, die ein Heranwachsender erdulden musste, bis er an allen Gliedern zugeschnitten war auf die Maße der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit. In dem Freundschaftspaar Skarlet Bucklitzsch und Jean-Paul Langanke – Namen, die im Sächsischen wahrscheinlich wie eine schwere Körperverletzung klingen – illustriert Aehnlich, dass Opposition und Anpassung keine Gegensätze im Sozialverhalten des DDR-Bürgers waren, sondern aufeinander bezogene Techniken der Selbstverteidigung und Ich-Konstruktion. Zur Ambivalenz zwischen totalitärer Anpassung und jugendlicher Revolte tritt nämlich noch die zwischen Provinzialität und Moderne. Die DDR war, daran lässt Kathrin Aehnlich keinen Zweifel, ein sozialistischer Menschenzoo, der stolz war auf seine internationale Reputation und seine illustren Besucher, bei den Zooinsassen aber jede intellektuelle oder geistige Selbstentfaltung sorgfältig unterband. So blieb der furchtsamen Skarlet nur Paul als Kompass innerer Freiheit. Paul verlor seinen Medizin-Studienplatz , weil er sich nicht freiwillig zur Volksarmee verpflichtete, träumte davon, Filme zu drehen, kaufte sich nach der Wende endlich ein marodes Kino, und als es losgehen sollte mit der Freiheit, starb er an Krebs. Sein Begräbnis auf dem Leipziger Friedhof – in einem selbstbemalten Sarg, dazu singt Van Morrison – wird zur letzten traurigen Revolte der Zoobewohner, für die die Freiheit zu spät kam.

Heutige Kleinkinder werden als Erwachsene auf die DDR-Zeit zurückblicken wie damals Skarlet und Jean-Paul etwa auf Bismarcks Sozialreformen oder die Erfindung der Maggi-Würze. DDR-Zoo-Reliquien wie die Kleinen Trompeterbücher, Sachsenbräu und Travidin, Malfabrot und das Leipziger Messemännchen sind dann nur noch ein Klang, ein Hauch in der Luft. Auch die Löffelstöre werden irgendwann aussterben, wie der Zoodirektor zugeben muss. Nur Zoodirektoren leben ewig.