>>zurück

Leipziger Online Zeitung

Kathrin Aehnlichs Romandebüt: Alle sterben, auch die Löffelstöre

veröffentlicht von: Ralf Julke am Dienstag, 01. Mai 2007

Man kann 49 werden im deutschen Bücherland und trotzdem noch als hochbegabter schriftstellerischer Nachwuchs gelten. Und es hat nichts zu tun mit Fleiß oder Talent, sondern mit einem Markt, der kein Gedächtnis hat. In dem die Modewellen schneller vorüberrauschen als Kataloge gedruckt werden können. Die Zeit wird zur Digitaluhr. Und wenn „Nachwuchstalente“ wie Kathrin Aehnlich ein neues Buch veröffentlichen, ist das wie ein verblüfftes Erwachen: Es geht auch anders.

Das hat die gebürtige Leipzigerin, die heute in Markkleeberg lebt, eigentlich längst bewiesen. 1998, als ihr Buch „Wenn ich groß bin, flieg ich zu den Sternen“ im Gustav Kiepenheuer Verlag erschien. Darin schildert sie eine Kindheit in der DDR der 1960er, 1970er Jahre. Treffsicher, voller Humor. Eigentlich war die Erzählung ihre Abschlussarbeit nach ihrem Studium am Literaturinstitut 1985 bis 1988. Aber wie so vieles geriet es in die Mühlen der Veränderungen, die fast einer kompletten Generation junger Autoren im Osten ihre Chancen auf Veröffentlichungen nahm.
Das änderte sich erst Ende der 1990er, als insbesondere lustige, frivole Bücher über das „verrückte Leben im Osten“ auf einmal zu Bestsellern wurden, hochgepuscht von einer anschwellenden Ostalgie-Welle, die die verstorbene DDR versuchte zu einem Brause- und Schlagerland zu stilisieren. Ãœbrigens eine Inkarnation, in der die Verstorbene noch heute durch ein, zwei deutsche Heimatsender geistert. Doch schon Aehnlichs erstes Buch deutete an, dass über das vergangene Land fundierter und feinfühliger geschrieben werden konnte. Ohne ideologische Brille, ohne Vorurteile. Einfach mit dem Nerv für eine erlebte Wirklichkeit, die bei genauem Hinsehen eine durch und durch spießige war. Und – so ehrlich muss man schon sein – in ihre Spießigkeit der west-deutschen Spießigkeit in nichts nachstand.
Besonders fühlbar natürlich aus der Perspektive der Kinder, die aufwuchsen in dieser kleinbürgerlichen Republik, das Knausern und Schweigen erlebten, die nicht gelebten Träume, die Verrenkungen der Erwachsenen. In ihrem Romandebüt „Alle sterben, auch die Löffelstöre“ knüpft Katrhin Aehnlich daran an. Und eines sei verraten: Um Löffelstöre geht es nur am Rande. Sie gehören zum schier unerschöpflichen Leipziger Repertoire, aus dem die Autorin ihre filigranen Geschichten webt um die eigentliche Geschichte herum – den Tod und die Beerdigung von Paul, der an Krebs stirbt gerade in dem Moment, da sich alles in seinem Leben gefügt zu haben schien – der Wunsch nach eine Familie, der Eröffnung eines eigenen Kinos.
Am vorletzten Tag des Jahres stirbt er und der Jahreswechsel wird für seine engsten Freunde zu einer Reise in die eigene Vergangenheit. Aehnlich webt diese Vergangenheit aus lauter kleinen, lebendigen Szenen aus der Kindergartenzeit, Schule, Studium und Herbst 89. Sie tut es wieder mit diesem gemeinen, scharfen Blick auf die „Sieger der Geschichte“, die im Alltag nur zu oft kleinliche Versager waren. Männer wie Skarlets Vater, der jede Geldausgabe auf Mark und Pfennig in seine Hefte schreibt. Oder Möchtegern-Akrobaten wie Pauls Vater, die sich einfach verdrücken.
Aehnlich blendet die Szenen ineinander, wechselt immer wieder die Zeitebene und zieht den Leser in den Bann der Bilder, die nur scheinbar unverhofft aufeinander folgen, abtauchen in die Erinnerung und wieder aufblenden in einer Gegenwart, die genausowenig verlässlich scheint. Dass Paul seine Beerdigung schon selbst geplant hat und seine Freude animiert, mit Phantasie aus den üblichen Mustern auszubrechen, gerade das gibt dem Buch eine tragische Note, führt ganz dicht heran an die Begegnung der nun Erwachsenen mit ihren eigenen Hoffnungen, Wünschen und Sehnsüchten.
Ein Buch, das mühelos geschrieben scheint, hingetupft, wie man sich vorstellt, dass Autoren für Features ihre Texte hintupfen, um Kameraleuten und Regisseuren noch Freiraum zu lassen für ihre Phantasie. Seit 1992 arbeitet Aehnlich in der Feature-Redaktion des MDR-Kulturradios alias Figaro. Sie hat auch Hörspiele und Kinderbücher veröffentlicht und debütiert mit diesem Roman in einem Genre, das diese Leichtigkeit, diesen stilen Humor gut gebrauchen kann.

Info: Kathrin Aehnlich „Alle sterben, auch die Löffelstöre“, Arche, Zürich/Hamburg 2007, 19 Euro